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Kapitel 1:

Die Zentrale

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Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Baar ein Ort, der für die Zuger Kulturlandschaft prägend werden sollte: die «Zentrale». Man betrat sie durch den Hintereingang des Restaurants Kreuz. Der Raum war klein, kaum grösser als vier auf vier Meter, doch er war erfüllt von Energie und Ideen.
          Ein Detail blieb legendär: der Knopf an der Wand, gleich neben dem Radio. Mit einem Druck konnten Getränke und Zigaretten aus der Wirtschaft bestellt werden – eine direkte Leitung ins Wirtshaus und Sinnbild für die enge Verbindung von Alltag und Kultur, die diesen Ort prägte.

Hausherr war der Baarer Grafiker Eugen «Geni» Hotz. Seine Eltern führten das Kreuz, ein traditionsreiches Lokal am Kreuzplatz, mitten im Zentrum von Baar. Der Name «Zentrale» passte daher perfekt – und ebenso zur Rolle, die der Ort von 1941 bis 1951 einnahm. Hier trafen sich Menschen unterschiedlichster Herkunft und Gesellschaftsschichten. Der harte Kern nannte sich augenzwinkernd «kleiner Gemeinderat» – darunter auch Söhne der damaligen Gemeinderäte.
          Doch die «Zentrale» war mehr als nur ein Atelier oder Stammtisch. Sie wurde zum Epizentrum einer jungen, kreativen Szene, die mit Witz, Mut und einem Hauch Anarchie neue Ideen für Kultur und Gesellschaft entwickelte. Aus heutiger Sicht könnte man sagen: Die jungen Männer um Hotz waren sanfte Revolutionäre. Sie wollten dem bürgerlich geprägten Baar – und dem Kanton Zug insgesamt – Kultur und Kreativität schenken, in einer Zeit, die vielerorts als kulturelle Wüste galt.

Die Zentrale

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ein kreatives
Epizentrum in Baar

1917 in Baar geboren, wollte Eugen Hotz ursprünglich technischer Zeichner werden. Das Präzise und Geometrische prägte den­noch seinen Stil: Seine Grafiken tragen bis heute die Handschrift klarer, rechnerischer Formen.


Nach den Verunsicherungen des Zweiten Weltkriegs suchte die Gesellschaft Halt – und Geni brachte Ordnung. «Ich glaube, dass vor allem die heutige Zeit in ver­mehr­tem Masse Ordnung brauchte», schrieb er.


Sein Traum, nach Paris zu gehen, blieb un­erfüllt. Doch im Rückblick war es ein Glücks­fall: Das Zuger Kulturleben verdankt ihm und seiner Frau Annemarie unzählige Impulse. Geni war interessiert an Literatur, Kunst, Kleintheater und Gesellschaft. Mit seinem Handwerk gab er Ideen ein Gesicht. Wer Rat brauchte, fragte Geni – und konnte sicher sein, auf seine stille, verlässliche Unter­stützung zu zählen.

Eugen Hotz

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Ordnung im Chaos 
der Nachkriegszeit

Annemarie, geborene Schmid, war das organisatorische Rückgrat an Genis Seite. Sie kümmerte sich um Finanzen und Ad­mi­ni­stration und brachte neue Impulse ein. Oft ermunterte sie ihren Mann, Neues auszu­probieren – so öffnete sie ihm etwa den Weg ins Logodesign.


Als gelernte Schneiderin verlieh sie Genis Zeichnungen Leben: Sie setzte Entwürfe praktisch um, entwarf Kostüme für Kultur­projekte und brachte Sinnlichkeit in die strenge Formenwelt.


Bemerkenswert war auch ihr Beziehungsnetz: Mit Leichtigkeit knüpfte Annemarie Kontakte zu Politiker:innen auf allen Ebenen. Gemein­sam bildeten Geni und sie ein fast unzer­trennliches Team – kaum ein grösserer Kul­tur­anlass in Zug kam ohne ihre Mitwirkung aus.

Annemarie Hotz

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die rechte  
und linke Hand

Armin Haab (1919–1991) gehörte zum harten Kern der «Zentrale». Von ihm stammen die Fotografien im «Zentrale»-Buch, die diesem Ort bis heute ein Gesicht geben. Ur­sprüng­lich wollte er Grafiker werden. Nach einer Typografenlehre in Zug und der Kunst­ge­werbe­schule Zürich führte ihn das Leben jedoch in eine andere Richtung.


Nach dem Tod seines Bruders übernahm er 1948/49 zusammen mit seinem Cousin Kurt die Leitung der Neumühle – bis 1965 war er hauptberuflich Kaufmann. Doch die Kunst liess ihn nie los. Er reiste viel, veröffentlichte Fotografien aus Ägypten, Bhutan und Mexiko in der Kulturzeitschrift «Du» und gab vier Schriftmusterbücher heraus, die heute als Klassiker gelten.
          Nach der Stilllegung der Mühle zog er ins Tessin, kehrte 1975 nach Zug zurück und wid­mete sich ganz der Kleinbildfotografie. Sein Werk bewegt sich zwischen kauf­män­nischer Bodenhaftung und künstlerischer Freiheit.

Armin Haab

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der Kaufmann 
mit der Kamera

Die Baarer nannten ihn einfach «Busch»: Max Schumacher (1920–1951), den Ideen­produzenten der Zentrale. Aufgewachsen im Hotel Res­tau­rant Krone, besuchte er die Kantonsschule, begann ein Jus-Studium und wandte sich nach dem Krieg dem Jour­nalismus zu.


Als freier Journalist und Feuilletonist mach­te er sich schnell einen Namen. 1947 wurde er Redaktor des Unterwaldner, verliess die Zeitung aber bald, um sich Literatur und Kunst zu widmen. Sein Leben endete tra­gisch früh: 1951 starb er an einer Blind­darm­entzündung.


In der «Zentrale» war Busch Stammgast – no­to­­risch zu spät, gerne unterwegs mit Walter Staub, der das Bier zahlte. Von seinen Freun­den wurde er liebevoll-ehrfürchtig als «bizar­res Genie» bezeichnet – ein Freigeist, dessen Ideen die Szene prägten.

Max Schumacher

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das 
«bizarre Genie»

Roberto Margotta (1918 – nach 1976)  wurde in Pisa geboren. Zusammen mit Eugen Hotz besuchte er das «Konvikt», das heutige Kol­legium St. Mi­chael in Zug. Später studierte er Politik­wissenschaft, wurde ins ita­lie­nische Heer eingezogen, floh jedoch wäh­rend des Krieges in die Schweiz. Dort fand er Anschluss an die «Zentrale», wo ihn die Freunde «Pisa» nannten.


Nach dem Krieg kehrte Margotta nach Italien zurück und machte Karriere als Journalist. Er schrieb für Corriere della Sera, Domenica del Corriere und Epoca Tedesca, beriet Verlage und veröffentlichte Bücher – von politischer Geschichte bis hin zu Briefen von Thomas Mann. Von 1963 bis 1970 war er Bürgermeister von Agra bei Varese.


Seine Gespräche in der «Zentrale» er­öff­neten den Freunden neue Horizonte. Sie erkannten, wie privilegiert ihr Leben in der freien Schweiz war – und fragten sich, ob ihre eigenen Bemühungen ausreichen würden, um diese Freiheit zu bewahren.

Roberto Margotta

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der Journalist
aus Pisa

Max Huber (1919–992) wuchs in Baar auf, absolvierte eine Lehre bei einer Reklame­agentur in Zürich und studierte ab 1935 an der Kunstgewerbeschule. Geprägt vom Bauhaus und von Max Bill gestaltete er mit Emil Schulthess die Zeitschrift «Du» und dokumentierte die Landesausstellung 1939.


Huber zog es nach Italien. 1940 wurde er Art Director in Mailand, kehrte aber kurz darauf in die Schweiz zurück, wo er beim Artemis-Verlag arbeitete – und gelegentlich in der «Zentrale» zu Gast war. Nach dem Krieg emigrierte er endgültig nach Italien. Für Olivetti, Borsalino und die Autorennen in Monza schuf er Arbeiten, die den inter­nationalen Ruf des italienischen Designs mitbegründeten.


Huber war ein Gestalter von grosser Spann­weite: Art Director bei der RAI, Plakat­künstler, Illustrator, Werbegrafiker und Ausstellungs­macher. In den 1960er-Jahren zog er sich ins Tessin zurück. Er starb 1992 in Mendrisio. Heute erinnert das m.a.x. Museo in Chiasso mit einer Dauerausstellung an sein Werk.

Max Huber

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der Internationalste 
der «Zentrale»

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